Nach fast zwei Jahren Gesundheitskrise scheinen sich kurzfristig immer noch keine Aussichten auf eine Überwindung der Krise abzuzeichnen, was auf die Vervielfältigung der COVID-19-Varianten, die Gesundheits- und Pandemiesituation, die immer noch hohen Inzidenzraten und die niedrige Impfrate in Ländern, in denen der Zugang zum Impfstoff noch schwierig ist, zurückzuführen ist. Dennoch verzeichnete die Großregion gute Werte bei der wirtschaftlichen Erholung, die zu einem merklichen Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt führten. Die Schwierigkeiten bei der Einstellung von Arbeitskräften in einigen Sektoren und die Probleme bei der Rohstoffversorgung in anderen sind Herausforderungen, die in der Zukunft gelöst werden müssen. Darüber hinaus können wir aufgrund der Erfahrungen, die in dieser Pandemieperiode gesammelt wurden, eine Bilanz der Arbeitsmarktperspektiven für die Zukunft ziehen.
Die Einführung von Telearbeit - sofern sie möglich ist – hat viele wichtige Fragen im grenzüberschreitenden Kontext aufgeworfen. Trotz des Wunsches einer Mehrheit der Arbeitnehmer, in gewissem Umfang Telearbeit zu praktizieren, haben einige Arbeitgeber noch Vorbehalte. Viele ziehen es vor, dass ihre Teams ins "Büro" kommen, wie eine Umfrage des IAB[1] unter deutschen Unternehmen zeigt. Andererseits gibt es auch auf Seiten der Arbeitnehmer den Wunsch, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, insbesondere um einen besseren Kontakt zu den Kollegen zu gewährleisten. Das Werkstattgespräch der IBA·OIE 2021 beschäftigte sich intensiv mit der Telearbeit in der Großregion. Die Bedingungen für die Umsetzung der Telearbeit müssen zwischen den Sozialpartnern diskutiert werden, insbesondere in Bezug auf die Bereitstellung der notwendigen Ausrüstung für die Arbeitnehmer, die Arbeitszeitregelung, die Organisation der Teamarbeit, die Festlegung von Abschaltzeiten usw. Auch der Frage des Wohlbefindens der Telearbeiter und ihrer Produktivität müssen die Arbeitgeber große Aufmerksamkeit widmen. Eine vom LISER[2] durchgeführten Studie unter Einwohnern Luxemburgs und Grenzgängern, die während der ersten Welle der Epidemie telearbeiteten, deutet darauf hin, dass die Telearbeiter über eine große Vielfalt an Empfindungen berichteten, mit je nach Profil unterschiedlichen Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Produktivität. Beispielsweise zeichneten sich die Gruppe der über 40-Jährigen, der Grenzgänger sowie der Männer durch eine höhere Arbeitszufriedenheit und Produktivität aus. Darüber hinaus hat sich die Nutzung digitaler Hilfsmittel im Untersuchungszeitraum ausgeweitet und intensiviert. So stieg zum Beispiel bei Telearbeitern, die an digitale Werkzeuge gewöhnt waren und diese täglich nutzten, der Stress am Arbeitsplatz an. Diejenigen, die häufiger, aber in geringerem Umfang auf Telearbeit zurückgriffen, berichteten von einer höheren Produktivität, aber einer geringeren Arbeitszufriedenheit.
In unserem großregionalen Kontext ist die Frage der Einkommensbesteuerung von entscheidender Bedeutung, um die Fortsetzung der Telearbeit von Grenzgängern zu ermöglichen. Die binationalen Abkommen sollten diese Besonderheit berücksichtigen und die notwendigen Maßnahmen zur Regulierung dieser Praxis umsetzen. Diese Frage betrifft jedoch die Kompetenzen der Staaten, die manchmal weit von den Problemen entfernt sind, mit denen Grenzgänger konfrontiert sind, die innerhalb der administrativen Grenzen der Gebiete leben.
Parallel dazu hat die Coronakrise Spannungen in mehreren Wirtschaftszweigen deutlich gemacht und insbesondere auch in Berufen, die damals als „systemrelevant“ eingestuft wurden. Wie die im Rahmen des IBA·OIE Werkstattgespräch 2021 vorgestellten Analysen der Mangelberufe nach dem Vorbild der Region Grand Est zeigen, gibt es bereits Schwierigkeiten bei der Einstellung von Arbeitskräften im Gastgewerbe, im Baugewerbe, im Gesundheitswesen und in der Industrie. Ein Teil dieser Spannungen ist konjunkturell bedingt und hängt mit dem hohen Bestand an Arbeitssuchenden und der raschen Erholung der Wirtschaft zusammen, was die Anpassung von Angebot und Nachfrage mechanisch einschränkt. Andere Spannungen struktureller Art sind angesichts der sich abzeichnenden Trends wie der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung, der Transformation und Dekarbonisierung der Wirtschaft eher langfristig angelegt. Einer Analyse des INSEE Grand Est[3] zufolge müssen in der Region Grand Est jährlich 2.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um die steigende Zahl abhängiger älterer Menschen in den nächsten Jahren zu decken. Angesichts dieser Einstellungsschwierigkeiten muss ein Prozess der Aufwertung von Berufen, die als schwierig oder wenig attraktiv gelten, ebenso wie eine Anpassung der Ausbildungsangebote erfolgen, um eine Übereinstimmung zwischen Angebot und Nachfrage zu gewährleisten und die Entwicklung des Arbeitsmarktes sicherzustellen. Die gezielte Ausbildung von Personen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, insbesondere von Langzeitarbeitslosen - deren Zahl im Laufe der Pandemie gestiegen ist - muss ein Hauptziel der Entwicklungsstrategien der Teilregionen der Großregion sein.
Ebenso wirft die Digitalisierung der Wirtschaft und insbesondere die Automatisierung bestimmter Aufgaben zahlreiche Fragen zur Neuorganisation der Arbeit und zum Qualifikationsbedarf der Arbeitnehmer auf. In einer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) [4] durchgeführten Studie aus dem Jahr 2019 wurde der Automatisierungsgrad der ausgeführten Aufgaben in Abhängigkeit von den Branchen und Berufen gemessen. So zeichnen sich einige Branchen durch ein hohes Substituierbarkeitspotenzial aus (z.B. das verarbeitende Gewerbe und die Finanzdienstleistungen), andere hingegen durch ein niedriges (Bildung, Gesundheits- und Sozialwesen). Innerhalb der Großregion variiert somit der Anteil der möglicherweise "gefährdeten" Arbeitsplätze nach den jeweiligen Wirtschaftsstrukturen der einzelnen Teilregionen. Diese seit 2013 durchgeführte Studie zeigt, dass der Anteil der Arbeitnehmer, deren Beruf ein hohes Substituierbarkeitspotenzial (über 70%) aufweist, im Laufe der Zeit gestiegen ist. Dieses Beispiel lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Arbeitsmarktsituation in der Zukunft zu. Nur die Strategien, die von den politischen Akteuren umgesetzt werden, können Hinweise auf die Zukunft des Arbeitsmarktes geben.
Nach etwa zwei Jahren Gesundheitskrise können wir durch die beobachteten Veränderungen in der Arbeitswelt und Gesellschaft, einige Perspektiven für den großregionalen Arbeitsmarkt skizzieren. Die Krise hat die digitale Transformation der Gesellschaft und der Wirtschaft beschleunigt, insbesondere durch die erzwungene Verwendung digitaler Werkzeuge im Alltag vieler Arbeitnehmer, was mitunter zu Schwierigkeiten oder weniger günstigen Arbeitsbedingungen führte. In jedem Fall hat die Digitalisierung der Gesellschaft in diesem Zeitraum auch einen bedeutenden Schritt nach vorne gemacht. Dies stellt auch eine Chance dar, die Herausforderungen im Zusammenhang mit der digitalen Transformation zu bewältigen, wie z. B. die Ausweitung der Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung und der Erwerb der erforderlichen digitalen Kompetenzen.
Die Pandemie hat auch den Bedarf an bestimmten Berufen erhöht, insbesondere in den Schlüsselbereichen, die für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Lebens von Bedeutung sind (Transport und Logistik, Lebensmittel, Gesundheit usw.). Diese Berufe wurden schnell als „systemrelevant“ bezeichnet, was ihre Bedeutung unterstreicht und auf mögliche Aufwertung und verbesserte Arbeitsbedingungen hoffen lässt. Gerade in diesen Berufsfeldern belasten Spannungen und Arbeitskräftemangel in Verbindung mit schwindender Attraktivität auf Dauer das Funktionieren der Gesellschaft als Ganzes.
Im grenzüberschreitenden Kontext der Großregion schließlich hat die Gesundheitskrise den Integrationsprozess dieses Raums in Frage gestellt, insbesondere durch die Einführung von Grenzkontrollen, die von den Nationalstaaten ohne gegenseitige Absprachen beschlossen wurden, sowie die Einführung differenzierter Regeln für Grenzgänger. Diese Phänomene des nationalen Rückzugs haben jedoch die Bedeutung der intensiven Verflechtungen der Teilgebiete der Großregion nur betont, wie etwa die Abhängigkeit des luxemburgischen Gesundheitssystems von den Grenzgängern, die eine Mehrheit des Gesundheitspersonals stellen. Umso mehr wurde die Notwendigkeit eines einheitlich geregelten Grenzverkehrs innerhalb des Kooperationsraums deutlich sowie eine abgestimmte Kommunikation zwischen den Vertretern der Teilregionen. Von großer Bedeutung ist aber auch die Verbreitung zuverlässiger Informationen für die Bürgerinnen und Bürger, die in den Grenzgebieten leben.
Sicherlich hat die Gesundheitskrise in der Großregion die aktuellen Transformationsprozesse nicht verursacht, aber um eine vielfaches beschleunigt. Allerdings wurden im Krisenmodus viele offene Baustellen sichtbar, die schnellstmöglich beseitigt werden müssen. Mehrfach wurde aber gerade auch in der schwierigen Zeit der Gesundheitskrise, der klare Wille zur Zusammenarbeit zwischen den Teilregionen betont und der Mehrwert des grenzüberschreitenden Kooperationsraum im Herzen Europas deutlich.
[1] IAB (2011): Homeoffice in der Corona-Krise: leichter Rückgang auf hohem Niveau. https://www.iab-forum.de/homeoffice-in-der-corona-krise-leichter-rueckgang-auf-hohem-niveau/ (25.03.2022)
[2] HAURET L., MARTIN L. (2020): L’impact du télétravail imposé par le confinement du printemps 2020 sur l’usage des outils digitaux et les compétences digitales. LISER Policy Brief n°12 décembre 2020. https://liser.elsevierpure.com/ws/portalfiles/portal/26458092/policy_brief_12.02_FR.pdf (25.03.2022)
[3] GASS C., VINHAL GONCALVES ALVARENGA J.-M., Insee (2020): De forts besoins en aides à domicile et agents de service hospitaliers à l’horizon 2030. INSEE Analyse Grand Est n°125 décembre 2020. https://www.insee.fr/fr/statistiques/4997655 (25.03.2022)
[4] DENGLER K. (2019): Substituierbarkeitspotenziale von Berufen und Veränderbarkeit von Berufsbildern. IAB-STELLUNGNAHME Ausgewählte Beratungsergebnisse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. https://doku.iab.de/stellungnahme/2019/sn0219.pdf (25.03.2022)